"Wir brauchen neue Visionäre, die anpacken"

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Die Schiffszimmerer-Mitglieder Alexandra und Lars Warnke haben vor sieben Jahren den gemeinnützigen Verein „Durch Erleben lernen e.V.“ gegründet. Die beiden staatlich geprüften Erzieher betreuen seitdem in ihren pädagogischen Einrichtungen jeden Monat etwa 150 Kinder im Alter zwischen fünf und 18 Jahren. Die Themen Natur, Umwelt- und Klimaschutz, nachhaltiges Wirtschaften und gesunde Ernährung stehen dabei im Mittelpunkt: Auf dem Gelände einer ehemaligen Gärtnerei züchten die Kinder zum Beispiel Jungpflanzen, ziehen insektenfreundliche Blühstauden groß, legen Beerenobstgärten und Hochbeete an und kreieren ihre eigene Sorte Apfelmus. Oder sie stellen eigene Shampoos, Cremes und Badepralinen her – ganz ohne Mikroplastik oder andere unerwünschte Nebenstoffe. Es wird also eifrig geplant, gebuddelt, gepflanzt, gebaut, geforscht gebacken und gekocht.

Warum das Ehepaar mit den Konzepten und den Arbeitsbedingungen vieler pädagogischer Einrichtungen unzufrieden ist und sich deshalb kurzerhand mit eigenen Projekten im Bereich Umwelt-Bildung selbstständig gemacht hat und wie Eltern ihren Kindern auch in einer Großstadt wie Hamburg die Nähe zur Natur vermitteln können – das verraten die Beiden im Interview.

Sie waren viele Jahre in der Kinder- und Jugendarbeit tätig – und dabei häufig unzufrieden. Was machen Sie heute mit Ihren eigenen Projekten besser?

Alexandra Warnke: Mein Mann und ich haben schon in vielen unterschiedlichen Einrichtungen gearbeitet. Aber selten stand dabei die Förderung der Kinder und Jugendlichen wirklich im Mittelpunkt. Aufgrund von Personalmangel war oft nur eine Aufbewahrung möglich. Wir wollen mit unseren eigenen Projekten unsere Vision Wirklichkeit werden lassen: Orte zu erschaffen, an denen die Kinder und Jugendlichen den Mut schöpfen, das jede noch so kleine Tat eine Veränderung herbeiführen kann. Und dass sie ihre Zukunft aktiv mitgestalten können.

Lars Warnke: Wir wollen Kindern und Jugendlichen vielfältige Möglichkeiten bieten, durch sinnstiftende Tätigkeiten Freude und Zuversicht zu erfahren. Ganz nach dem Motto: „Durch Erleben lernen“. Wir wollen ihnen Mut machen, Dinge zu hinterfragen und sich kritisch mit ihrer Lebenswelt auseinanderzusetzen. In Zeiten endloser digitaler Möglichkeiten brauchen wir dringend neue Visionäre, die mit beiden Beinen im Leben stehen und Lust haben, anzupacken. Die sich nicht erschlagen lassen von der Fülle an schlechten Nachrichten, sondern die Hoffnung haben und diese an andere Menschen weitergeben.

Was möchten Sie den Kindern und Jugendlichen genau vermitteln?

Alexandra Warnke: Dass wir gemeinsam viel erreichen können. Denn jeder von uns verfügt über wertvolle Fähigkeiten. Und das geht weit darüber hinaus, was die Schule von Kindern und Jugendlichen in Tests und Klausuren abfragt. Unser Wunsch ist: Wir möchten ihnen mit unseren Projekten Begeisterungsfähigkeit, kritisches und eigenständiges Denken, Mut, Zuversicht und den Glauben an ihre eigenen Stärken und Talente vermitteln.

Welche Rolle spielen dabei die Themen Natur und Umwelt?

Lars Warnke: Wir sind Teil des großen Ganzen. Dies aufzuzeigen und erfahrbar zu machen, ist unser Ansatz. Wir möchten ein Bewusstsein dafür wecken, welche Bedeutung äußere Umstände haben und dass jede Manipulation an der Natur entsprechende Folgen hat. Deshalb müssen wir uns dafür einsetzen, eine lebenswerte Umwelt zu erhalten.

Wie kommt das bei Kindern, Jugendlichen und Eltern an?

Alexandra Warnke: Am schönsten sind für uns die kleinen Beobachtungen: der stolze Blick, wenn der Bau des Hühnerstalls erfolgreich abgeschlossen wurde oder die kindliche Freude von 16-Jährigen, die sich in große Blätterhaufen werfen. Aber auch wenn wir unsere ehemaligen Vorschulkinder als Jugendliche wiedertreffen und sie uns vor Freude sprudelnd an ihren glücklichen Erinnerungen aus der Vorschulzeit teilhaben lassen.

Lars Warnke: Einmal haben wir in unseren Naturkursen einen Jungen drei Jahre lang begleitet bis er elf Jahre alt war. Sein großer Traum war immer, eines Tages ein eigenes Messer zu schmieden. Wir haben ihn dann aus den Augen verloren. Mit 19 Jahren stand er dann plötzlich vor unserer Tür und hat uns stolz sein selbstgeschmiedetes Messer gezeigt.

In einer Großstadt wie Hamburg haben viele Familien Wald und Wiese nicht gerade direkt vor ihrer Haustür. Wie erlernen Kinder trotzdem einen achtsamen Umgang mit der Natur?

Alexandra Warnke: Eltern sollten sich gemeinsam mit ihren Kindern auf das Abenteuer einlassen, im Kleinen das Verborgene aufzuspüren. Die Natur hält so viele faszinierende Beobachtungen bereit – auch im städtischen Raum. Sie müssen das Handy aus der Hand legen und mit wachem, neugierigem Blick die Umgebung wahrnehmen. Einfach mal am nächsten Baum anhalten und bewusst einige Zeit in die Krone schauen und staunen. Oder Tag für Tag auf die Knospen an der Hecke achten, um die Verwandlung wahrzunehmen und die ersten Bienen beim Anflug zu beobachten. Die Eltern sind die Vorbilder. Wenn sie sich wieder begeistern können und in der ganzen Hektik mal innehalten, dann werden die Kinder das auch tun. Wichtig: Aufgesetztes Interesse bringt nichts. Es muss das Herz berühren, nur dann trägt es weiter.

Nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie rücken die digitalen Medien auch für Kinder immer stärker in den Fokus…

Lars Warnke: Das macht uns sehr traurig. So schön es aus Klimaschutzgründen ist, wenn in Zukunft für Firmenmeetings nicht mehr um die halbe Welt geflogen wird – Wir wünschen uns für die Kinder und Jugendlichen möglichst viel Zeit in der nicht virtuellen Welt, um lebenspraktische Erfahrung zu sammeln. Hier haben wir in den vergangenen Jahren einen dramatischen Rückgang an grundlegenden Fertigkeiten festgestellt. Wir befürchten, dass sich diese Entwicklung weiter verstärkt, weil es durch die Corona-Pandemie noch selbstverständlicher geworden ist, dass sich sogar schon die ganz Kleinen stundenlang in digitalen Welten aufhalten.

Ihr Wunsch für die Zukunft?

Alexandra Warnke: Dass wir durch unsere Initiative viele Menschen inspirieren, ähnliche Projekte auf die Beine zu stellen.

Vielen Dank für das Gespräch!